Die Presse explodiert: Die EVP-Fraktion im europäischen Parlament (zu der die CDU/CSU gehört) stimmt für einen ESN-Antrag (zu der die AfD gehört). Die Süddeutsche titelt: „Die EVP hat jegliche Scham verloren“, und zitiert damit den FDP-Abgeordneten Moritz Körner. Das ZDF schreibt: „Flirtet die Union auf EU-Ebene mit rechts?“. Die Berliner Zeitung schreibt: „Mehrheit für AfD-Antrag im EU-Parlament: Fällt jetzt die „Brandmauer“?“ Erik Marquardt, MdEP der Grünen, schreibt auf Instagramm: „DAMMBRUCH IM EU-PARLAMENT: CDU/CSU unterstützen offen AFD-Antrag zu Migration und verhelfen der AfD zur Mehrheit“.
Fazit: Die Brandmauer ist endgültig gefallen!
Echt jetzt? Ich versuche das mal einzuordnen.
Die Fakten:
Im Entwurf des „BERICHT über den Standpunkt des Rates zum Entwurf des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2025“ heißt es unter „Rubrik 4 – Migration und Grenzmanagement“ #64 wie folgt: „Das Europäische Parlament, weist darauf hin, dass die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) über die erforderlichen Ressourcen verfügen muss, um ihre Aufgaben in Übereinstimmung mit ihrem Mandat ausführen zu können, d. h. Grenzkontrollen an den Außengrenzen der EU, Unterstützung bei Such- und Rettungseinsätzen, Rückführungen und Austausch von Erkenntnissen und Fachwissen mit allen Mitgliedstaaten der EU und mit den benachbarten Drittstaaten, die von den aktuellen Migrationsströmen und grenzüberschreitender Kriminalität betroffen sind; stellt fest, dass Frontex die größte und am schnellsten wachsende EU-Agentur ist und dass dies Herausforderungen in Bezug auf die Absorptionskapazität und die Einstellung von Personal mit sich bringt; weist erneut darauf hin, dass die der Agentur zugewiesenen erweiterten Zuständigkeiten und Ressourcen mit mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht sowie mit der uneingeschränkten Achtung und dem Schutz der Grundrechte einhergehen müssen; fordert die Agentur auf, ihre Effizienz und Wirksamkeit weiter zu verbessern; beschließt, die im Entwurf des Gesamthaushaltsplans für die Agentur veranschlagten Mittel wieder einzusetzen.“
Die ESN, vertreten durch Andreas Jungbluth, hat folgende Änderungsanträge eingebracht. Zitat:
„#64a. Das Europäische Parlament fordert eine angemessene Finanzierung physischer Barrieren an den Außengrenzen der Union;“
„64b. nimmt den zunehmenden Trend zur Kenntnis, die Auslagerung von Teilen der EU-Migrationspolitik in Betracht zu ziehen; fordert die Organe auf, die Idee der Einrichtung von Rückkehrzentren („return hubs“) außerhalb der Union zu prüfen und erforderlichenfalls entsprechende Mittel für das Projekt bereitzustellen;“
Die EVP hat diesen beiden Änderungsanträgen mehrheitlich zugestimmt, und damit den Anträgen der AfD zur Mehrheit verholfen. So weit so richtig.
Worum geht es?
Zum ersten Änderungsantrag (64a): Die EVP wirbt auf Ihrer Website für Ihre Position: „Sichere Grenzen, sicheres Europa: eine europäische Asyl- und Migrationspolitik, die willkommen heißt und schützt“. Hierunter versteht die EVP verschiedene Punkte, unter anderem ausreichend EU-Mittel zur Stärkung von der Infrastruktursysteme an den EU-Außengrenzen, angemessene Finanzmittel und Ressourcen für die Grenzschutzagenturen zum Schutz der EU-Grenzen, die wirksame Umsetzung des integrierten europäischen Grenzschutzes. Im Prinzip ging es bei dem Antrag von Herrn Jungbluth genau um das: Mehr Geld für Grenzzäune (um es mal flapsig zu sagen). Ob das gut oder schlecht ist Grenzzäune zu bauen, ist etwas anderes, das muss jeder für sich entscheiden. Wichtig für die Einordnung ist, dass der Antrag der ESN eine bereits bestehende Forderung der EVP ist.
Zum zweiten Änderungsantrag (64b): Die Bekämpfung der irregulären Migration ist wohl das wichtigste Thema in den letzten Monaten, und auch für die Bundestagswahl 2025 wird das wohl ein Schlüsselthema werden. Auch hier hat die EVP schon lange eine klare Position (und erneut gilt, ob man diese Position gutheißt oder nicht, ist nicht Teil dieser Einordnung). Ebenfalls auf der Website der EVP steht „Wir wollen ein effizientes, gemeinsames europäisches Asylsystem, einschließlich Rückführung“. Der Antrag, dem die EVP zugestimmt hat beschäftigt sich mit der zur Kenntnisnahme eines zunehmenden Trends und der Prüfung von Rückführzentren außerhalb der EU – mehr aber auch nicht. Diese Rückführungszentren werden schon seit Mai, seit der Verabschiedung des neuen neues Migrations- und Asylpaket, ausgiebig diskutiert.
Alle anderen Änderungsanträge aus dem Antragsdokument hat die EVP übrigens abgelehnt, nur der Vollständigkeit halber.
Die Situation der EVP
Eins muss man der ESN schon lassen: sie wissen, wie sie für „Stimmung“ sorgen. Mit diesen zwei einfachen, kleinen Änderungsanträgen haben Sie (i) ihre Wähler maximal befriedigt, (ii) die EVP echt in Schwierigkeiten gebracht (mehr dazu gleich) und (iii) einen Grund gefunden, mal wieder so richtig für Aufsehen zu sorgen (entsprechend wird gerade ja auch medial gefeiert). Und leider helfen die Medien und Social Media dabei kräftig mit. Aber selbst schuld, wenn man den Rechten auch immer wieder eine Plattform bietet.
Warum konnte die EVP mit diesem Antrag nur verlieren?
Szenario 1: die EVP stimmt gegen den Änderungsantrag. Brandmauer und so. Ergebnis wäre: die EVP verlässt ihre klar definierten Forderungen. Die Wähler denken sich, „was soll denn der Müll, die halten nicht, was sie sagen. Lass uns eine „Alternative“ zur EVP suchen“.
Szenario 2: die EVP stimmt für den Änderungsantrag. Ergebnis: siehe Presse / Social Media (siehe oben, Plattform und so…)
Und mal nebenbei eine ganz andere Frage: stellen wir uns vor, die AfD bringt im deutschen Bundestag einen Änderungsantrag ein bei dem es darum geht, den Mindestlohn auf EUR 15,00 zu erhöhen (aktuelle Forderung der SPD). Wie würde die SPD reagieren? Dagegen stimmen, aus Prinzip (Brandmauer und so)? Aus EUR 15,00 mal kurz EUR 15,01 machen? Beides wäre ihr zuzutrauen, aber mal ehrlich, was wäre die richtige Entscheidung? Wie würden denn die Grünen darauf reagieren, wenn die AfD plötzlich für Solar- und Windenergie und gegen Kernkraft wäre? Wie würde die FDP reagieren, wenn die AfD plötzlich für die Schuldenbremse wäre?
Offen gesprochen: die ESN war mit diesem Antrag sehr clever – die EVP konnte nur verlieren! Ich denke aber dennoch, dass es richtig war, den eigenen Standpunkt nicht „aus Prinzip“ zu verlassen. Und ich bleibe dabei: wenn nicht die Süddeutsche, das ZDF, die Berliner, Social Media & Co sowie Abgeordnete, die es besser wissen sollten, die Welle der AfD reiten würden (ob gewollt oder nicht), wäre das Problem nicht so groß, wie es gerade ist oder sogar vielleicht nur scheint.
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